Die Übersetzung aus dem Latein verdanken wir einem pensionierten Lateinlehrer aus Bochum namens Gerhard Jost , der auf den Spuren seines Familiennamens surfend auf unsere Homepage gestoßen ist. Er hat in Münster noch bei eben jenem Professor Jost Trier Germanistik studiert, von dem das oft zitierte Jodok-Buch stammt. Die lateinische Vita des Anonymus finden Sie bei Jost Trier S. 19-33.
Incipit prologus de vita iudoci sacerdotis...
Es beginnt das Vorwort über das Leben des Priesters Judocus.
Hochgeehrte Söhne der Kirche Gottes und geliebteste Brüder in der Liebe Christi, mögen Euch, die Ihr in des ehrwürdigen Vaters Judocus Kloster lebt, ruhmreiches Lob Gottes und ewiges Heil vom Herrn in reichem Maße zuteil werden! Indem ich Eure Bittschrift, Brüder, keineswegs abzuweisen gewillt bin, in der Ihr mich gebeten habt, Leben und Taten des seligen Priesters Judocus nach den Vorgaben Eurer Erzählungen aufzuschreiben, nehme ich sehr furchtsam dieses das gesamte geistige Vermögen meiner geringen Person übersteigende Werk in Angriff, freilich erwägend da ich im Ausdruck wenig gewandt bin, - mit welchem Recht ich die Tugenden eines so bedeutenden Mannes darzulegen beginne. Doch wenn wir die berühmten Taten heiliger Väter wieder vor Augen führen, vertrauen wir darauf, ohne Zweifel durch ihren Schutz gestärkt zu werden. Daher halten wir es auch für würdig, um die ehrenvollen Verdienste dieses heiligen Vaters in gemeinsamer Verehrung zu bitten, da ja unsere dürftige**** Ausdrucksweise, unter seiner Obhut gestärkt, je länger sie an die Darlegung seiner Tugenden sich anpassen wird, sie gewiss umso wendiger und leichter in die Aufzeichnung seiner guten Taten kraftvoll Eingang findet. Das gewähre gnädig auf die Fürsprache eben dieses seines Heiligen unser Herr Jesus Christus selbst, dem mit dem Vater und dem Heiligen Geist gehört Ruhm und Herrschaft, Ehre und Macht in alle Ewigkeit. Amen.
Der ehrwürdigste Diener Gottes mit Namen Judocus (Judochus) sollte aus königlichem bretonischem Stamm hervorgehen. Sein Vater Juthail, der in diesem Volk zu seinen Lebzeiten die Herrschaft innehatte, hinterließ seinem Sohne Judichail (Judicail), also dem Bruder des seligen Judocus, die Lenkung des Königreichs nach seinem Tode. Aber als derselbe Judichail (Judicail) zu regieren begonnen hatte, schor er sich einige Zeit später das Haupthaar und wurde Geistlicher; doch diese Tonsur als Zeichen seines Gelübdes blieb nicht lange Zeit an ihm. Denn es heißt, dass er nachher sein Haar wieder hatte wachsen lassen und in den Laienstand zurückgekehrt war. Während er also derart rechtmäßig regierte, erfasste ihn nach einigen Jahre die Reue wegen seiner eigenen Taten und einer solchen Umkehr zum Weltlichen. Und so ergab es sich, dass er zu einem Diener Gottes namens Caroth kam und ihn unterwürfig um einen Rat in dieser Sache befragte. Dieser forderte ihn sogleich in höchst heilsamen Ermahnungen auf, das weltliche Königreich aufzugeben, und er (Judichail) gab an, er habe einen Bruder, Judocus mit Namen, der jenes gut regieren könne. Also wurde von vorgenanntem König Judichail verfügt, dass sein Bruder Judocus die Herrschaft übernehmen solle. Aber als dies der Gesegnete des Herrn Judocus keineswegs guthieß, verlangte er acht Tage Aufschub, wohl in der Absicht, inzwischen anderes mehr in die Wahl einzubeziehen.
Währenddessen also sah Judocus eines Tages, vor der Tür des Klosters stehend, das Lanmailmon heißt, wo er die Wissenschaften erlernt hatte, elf Wanderer. Als er diese fragte, wohin sie unterwegs seien, antworteten sie, sie wollten sich nach Rom aufmachen. Wie Judocus dies hörte, nahm er noch als Laie und ohne jeglichen Aufschub nur Wanderstab und Schreibtafel, folgte ihnen, und sie legten den Weg gemeinsam zurück.
Während sie aber weitergingen, kam man an einen Fluss, mit Namen Cosmun (heute Couesnon); nach dessen ziemlich zügiger Überquerung schoren sie den Mann Gottes Judocus und machten ihn so zum Kleriker. Als sie dies vollbracht hatten, kamen sie von dort zu einer Stadt, die Abrincatis (heute Avrenches/Normandie) heißt und blieben dort. Von da aufbrechend kamen sie zu der Stadt Carnotum (heute Chartres). Sodann machten sie sich bald in Eile weiterreisend auf zur Stadt Parisius (Paris), wo zu der Zeit der König Hof hielt. Und als sie einige Tage dort gewesen waren, brachen sie auf, und nachdem sie von ihrem Reiseweg abgebogen waren, nahmen sie die Richtung zur Stadt der Ambianenser (heute Amiens).
Diese verlassen sie wieder nach einiger Zeit, wenden sich in nördliche Richtung, und wie der Reiseweg sie führt, kommen sie zu einem Fluss namens Alteia (heute Authie, zwischen Canche und Somme) an einer Stelle, die als Villa Sancti Petri bezeichnet wird. Wie sie dann sich im Pontivus-Gau (heute Ponthieu) aufhielten, kamen sie zu einem dort residierenden Herzog, einem Adligen namens Haymo, von dem sie sogleich mit freundlichem Wohlwollen aufgenommen wurden. Und jener hielt sie drei Tage bei sich zurück und ließ sie sich an einer Gabe von Lebensmitteln erfrischen.
Als dann aber der obenerwähnte Herzog Haymo den eleganten Jüngling Judocus betrachtete, erkannte er, in jenem erwachse ein Geschenk himmlischer Gnade und zugleich werde er mit einem guten Charakter ausgebildet sein. Damals erschien der Mann Gottes Judocus noch in der Blüte seines jugendlichen Alters und weil er die anderen elf an frommer Gottesfurcht übertraf (ihnen gegenüber) lobwürdiger. Als daher Haymo sah, dass dies sich ziemlich sicher so darstellte, hielt er, von göttlichem Wink geleitet, den Jüngling Judocus bei sich und entließ die übrigen mit einem Segenswunsch. Und ihn (Judocus) ließ er wenige Tage später zu den kirchlichen Weihen erheben, woraufhin er in seiner Kapelle als Priester eingesetzt wurde, in der er sieben Jahre das Priesteramt verwaltete. In der Zwischenzeit hob der heilige Mann Gottes Judocus auf Bitten eben dieses Herzogs dessen Sohn aus dem allerheiligsten Taufbrunnen, und dieser erhielt den Namen Ursinus.
Nach Ablauf von sieben Jahren schließlich sehnte sich eben dieser heilige Mann, von zunehmendem Überdruss gegenüber fürstlichem Wohlwollen betroffen, eine derartige Lebensweise zu verlassen und an einem entlegeneren Ort zu leben. Also begab er sich in unterwürfiger bittender Haltung zu Haymo und ersuchte ihn darum, dass ihm die Erlaubnis, Gott freier zu dienen, gegeben werde, insofern er einen abgelegeneren Wohnort hätte, wo er für sich und alle Seinen in stiller Art beten könne. Als Haymo sogleich diesem Wunsch zustimmt, kommen sie zusammen an einen Ort, der Brahic (nicht sicher zu lokalisieren) heißt, ein Ort , der, wie er von Flussarmen der Alteia rings umgeben ist, ansprechend aussieht. Als sie also dies Fleckchen Erde betrachten, hält der heilige Judocus es für geeignet, sich dort eine passende Wohnstätte zu errichten.
Nachdem dort zugleich eine Kirche und eine Klause errichtet waren, begannen bald als Geschenk unseres Herrn, der seine Heiligen verherrlicht, Wunderzeichen zu geschehen. Man berichtet denn auch, dass eben dieser Mann Gottes dort Vögel verschiedener Art, auch Fischlein mit eigener Hand wie ganz zahme Haustiere zu füttern gewohnt war. Diese Vöglein und Fischlein nämlich kamen aus Gewohnheit ihr Futter aus der Hand des Gottesmannes zu nehmen und entfernten sich wieder, wie beispielsweise Tauben.
Auch sollte man nicht mit Schweigen jenen Vorfall übergehen, den, da er gerade in diesen Tagen sich ereignete, diejenigen, die es gut wissen, (ihrem Bericht) anfügten. Während dieser Kämpfer für Christus Judocus mit seinem Schüler Vurmarius allein in der Klause lebte, ereignete es sich eines Tages, dass sie nur noch ein Brot übrig hatten zum Lebensnotwendigen. Es geschah aber, während er in der Kirche, in der er sich dem Herrn im Gebet eifrig anzuvertrauen pflegte, betete, dass ein Armer an die Tür klopfte und bat, man möge ihm Nahrung geben. Als er das hörte, sagte er voll Mitleid zu seinem Schüler: Wie viel, so sprach er, haben wir an Brot übrig? Dieser gab zur Antwort: Ein Doppelbackbrot, mein Vater, haben wir, nur für den heutigen Bedarf zu essen. Doch jener sagte: Nimm es und teile es in zwei Teile; und wenn du einen davon wieder teilst, gib den zweiten (von diesen) dem Armen, der danach ruft. Als dies geschehen war, kommt nach kurzer Zeit ein anderer, der ebenfalls um ein Almosen bittet und dem sogleich auf Anordnung (des Judocus) ein weiteres Viertel Brot gegeben wird.
Und als darauf eine Stunde vergangen war, sieht man von weitem einen dritten Armen kommen. Auch diesem befiehlt der Diener Christi Judocus das dritte Viertel zu geben. Vurmarius ärgerte dies und er sagte: Da die Hälfte des Brotes schon verteilt ist, willst du nicht wenigstens, dass der Rest aufgehoben wird? Der Vater ermahnte ihn: Sei nicht besorgt, mein Sohn, um Speise und Trank. Denk an das Versprechen dessen, der gesagt hat: Gebt, und es wird euch gegeben werden. Und als ihm das Brot gegeben war, war er kaum weggegangen, und ein vierter Bedürftiger kam herbei, gewissermaßen um die Verpflichtung des Priesters Gottes zur Barmherzigkeit zu beweisen. Als jener also am Eingang klopfte, sagte der vortreffliche Streiter Christi Judocus: Reiche auch diesem da, was vom Brot übrig geblieben ist. Dieser sagte verbittert: Willst du, mein Vater, dass uns nichts an Speise bleibt und wir beide zugleich Hungers sterben?
Ihm soll der ehrwürdige Vater Judocus geantwortet haben: Nein, mein Sohn, ich will nicht, dass daraus dir eine Belastung wird. Doch reiche diesem Bedürftigeren, was von dem Brot übrig geblieben ist; du sollst ruhigen Sinn bewahren; du sollst dich keineswegs beunruhigen. Bis heute hat immer noch der Spender alles Guten die Macht, dies uns zu ersetzen. Da endlich gab Vurmarius, in diesem Glauben gestärkt, was von dem Brot übrig war, dem laut bittenden Armen.
Schließlich hatte der selige Vater Judocus diese eine Mahnrede kaum vollendet, und siehe da, vier Schiffe, beladen mit einer Menge Speise und Trank, wurden durch die Flussläufe des oben erwähnten Flusses gezogen, die der Heilsplan des allmächtigen Gottes ihm durch getreue Spender zukommen ließ. Pflegten doch in der Nachbarschaft dieses Ortes wohnende gute Menschen eben diesem Diener des Herrn oft außerhalb eines Wunders in dringenden Fällen Lebensmittel zu liefern. Aber dies ist ohne Zweifel durch die große Güte Gottes vorherbestimmt worden, dass, während der Mann Gottes, wegen seiner Verpflegung für den morgigen Tag nicht im geringsten besorgt, seinen gesamten Essensvorrat an vier Arme verteilt hatte, ihm ohne jede Verzögerung vier Schiffe voll Speise und Trank gesandt wurden.
An diesem Ort nun führte der selige Judocus ein heiligmäßiges Leben, während ein Zeitraum von acht Jahren verstrich. Doch schon lauerte ihm der dem Glück des ganzen Menschengeschlechts missgünstige und ruchlose Versucher auf, der ihn mit verschiedenen Sorgen heimsuchen wollte. Als aber eines Tages der ehrwürdige Mann Haymo wie gewohnt eines Besuches wegen gekommen war, wurde er von dem Diener Gottes mit aller Vorsicht gebeten, ihm als Wohnsitz einen anderen Ort auszusuchen, da er nämlich wegen zu großer Anfeindung durch böse Geister jenen Wohnsitz zu verlassen wünschte.
Zu ihm sprach der obengenannte Herzog in liebevoller Rede: Es gibt, sagte er, nahe einem anderen Fluss, der Quantia (=Canche) heißt, einen für dich als Wohnsitz vielleicht geeigneteren Platz, der Runiacus (Name heute nicht vorhanden) genannt wird. Lasst uns dorthin eilen und zusammen abwägen, welchen du lieber wählen willst. Also kamen sie zu vorgenanntem Ort, der für seinen Wohnsitz gleich als würdiger befunden wurde, und nachdem eine Kapelle zu Ehren des berühmten Bekenners und Bischofs St. Martinus erbaut war, führte er dort 14 Jahre lang ein Leben als Klausner.
Zu dieser Zeit war der selige Vater gewohnt, für sich Hühner zu halten, die zufällig 11 an der Zahl waren mit einem Hahn als zwölftem; aber diese begann ein Adler nach und nach zu fressen. Als nun sein Diener Vurmarius dies erfahren hatte, machte er dem Mann Gottes dies kund, was jener, wie er es hörte, gleichsam als bedeutungslos ansah. Als aber bald der Adler der Reihe nach die 11 Hühner geraubt hatte, wurde zuletzt der Hahn von den Krallen des bösen Vogels ergriffen und fortgeschleppt. Wie das der verehrungswürdige Freund Gottes Judocus erfuhr, ärgerte es ihn, und er drohte sofort dem weiter davonfliegenden Adler, wobei er das Kreuzzeichen hinter ihm machte, dass er ihm schleunigst den Hahn unverletzt zurückbringe. Der Adler gehorchte seinem Befehl, flog zurück, legte den Hahn unversehrt dem heiligen Judocus vor Augen und war gleich darauf tot.
Die Zeit verging, und der böse Feind des Menschengeschlechts wagte es, in eine Schlange verwandelt, den heiligen Mann anzugreifen und ihm einen schrecklichen Biss in seinen Fuß zuzufügen. Als das der Mann Gottes schmerzhaft gespürt hatte, ertrug er es schwer mit Bitterkeit und überlegte, möglichst schnell diesen Ort zu verlassen. Als dann nach seiner Gewohnheit der edle Haymo ihn dort eines Tages besuchte, forderte der Diener Christi Judocus ihn untertänig auf, ihn von dort auszuweisen und zu einem andern Ort ziehen zu lassen. Damit war Haymo sogleich einverstanden. Lasst uns, sagte er, zum Meer hingehen an eine öde einsame Stelle. Es gab zur damaligen Zeit an dem Ort, wohin zu gehen er beabsichtigte, einen sehr dichten Wald. Und er sagte: Überlegen wir zusammen, ob zufällig die Barmherzigkeit des Herrn dir außerdem einen noch passenderen Wohnsitz gezeigt hat. Dann sattelte unverzüglich der ehrwürdigste Diener Gottes Judocus seinen Esel und brach zusammen mit Haymo in diese Gegend auf. Als eben dieser Haymo nun seine Jagdtätigkeit ausübte, suchte der selige Vater Judocus einen zum Wohnen geeigneten Platz in der einsamen Waldgegend.Und als er bald eine Quelle gefunden hatte, begann bei ihm die Hoffnung zu wachsen, das zu finden, was er ersehnte.
Als Haymo nun bei der anschließenden Jagd einen riesigen Eber in Erfüllung seines Wunsches zur Strecke brachte, begann er wegen Wassers in Not zu geraten, das sie nicht hatten. Aber der Diener Gottes Judocus wies sogleich, sich dagegen wendend, diese Not weit von ihm ab: Mach dir, sagte der gottesfürchtige Mann, mach dir wegen des Wassers keine Sorgen, vielmehr hoffe auf den Herrn, und er selbst wird dir Wasser geben. Als er das gesagt hatte, gab der von der Jagdausübung erschöpfte Haymo seine Glieder plötzlich einem tiefen Schlaf hin. Und während er ruhte, stieß gleich der Heilige Gottes Judocus seinen Stock, den er benutzte, in den Boden unter Anrufung des Herrn Jesus Christus, den er mit ganzer Leidenschaft liebte, mit all seinem Verstand schätzte, und bat darum, dass eine möglichst reiche Ader einer Quelle sich auftue; und als er darauf im Vertrauen auf die Barmherzigkeit des Herrn diesen Stock aus dem Boden gezogen hatte, floss sogleich ein reichlicher Strom Feuchtigkeit hervor, der den da Anwesenden frisches Wasser darbot.
Als dies geschehen war, erhob sich der wach gewordene Haymo von seinem Lager, auf dem er schlief, und als er den ausströmenden Quell sah, bestaunte er ihn voller Rührung; auf Anordnung des heiligen Judocus aber stellten seine Diener an der Stelle eine eben ausreichende Einfassung her, und mehr und mehr entstand der schönste Quellfluss, der bis heute von den in der Nachbarschaft Wohnenden als Wunder und zugleich von den von weit her Kommenden als verehrungswürdig angesehen wird. Dass wahrhaftig öfter Kranke, die dorthin kommen, durch den Genuss des Quellwassers ihre Gesundheit wiedererlangt haben, bestätigen mehrere Leute, die es gut kennen gelernt
haben.
Inzwischen ging der Mann Gottes ein Stück weiter durch das Buschwerk und kam zu einem kleinen Tal, wo er, als er einen kleinen Wasserlauf fand, sagte: Hier ist ein fürstlicher Thron, so als wenn er sagen wollte: Dies soll meine Niederlassung sein.
Nach dieser Entdeckung kehrte Haymo, mit Danksagung begleitet, nach Hause zurück, und der Diener Christi Judocus mühte sich, an eben dieser Stelle zwei Kapellen eigenhändig zu errichten, und zwar beide aus Holz, wobei er die eine nämlich der Verehrung des heiligen Apostelfürsten Petrus, die andere derjenigen des Lehrers der Völker, des heiligen Paulus, widmete. Danach aber ordnete Haymo an, dass die Wildnis gelichtet wurde, die rings sehr dicht war, damit jene Stelle eine geeignete Wohnstatt für den Diener Gottes hergab.
Als dies schließlich geschehen war, erbat der ehrwürdige Diener Gottes von Herzog Haymo die Erlaubnis, nach Rom zu pilgern, weil er nämlich wünschte, kostbare Patrocinien (= beschützende Reliquien) sehr vieler Heiligen, wenn er von dort zurückkehren werde, mitzubringen. Also verließ er jenen Ort und machte sich eilig auf zu den Gräbern der heiligen Apostel. Als er dorthin gelangt war, hatte er die Gelübde seiner Sehnsucht vor Gott würdige und willkommene erfüllt.
Es geschah aber (folgendes), als er, viele Reliquien von Heiligen mitbringend, hierher zurückkam, eilte er sogleich zu dem vorher genannten Ort in der Einsamkeit, wo er, wie es oben schon erwähnt ist, zwei Kapellen erbaut hatte. Nun gab es ein Mädchen, von Geburt blind, das in einem derselben Einsiedelei benachbarten Dorf mit seinem Vater wohnte, die am Tag, bevor der Diener Christi Judocus zurückkehren sollte, ein Traumgesicht im Schlaf hatte, das sie frühmorgens ihrem Vater mitteilte, und sie sagte: Mein Vater. Und er darauf: Was, sagte er, willst du, meine Tochter? Jene aber sagte: Ein Diener Gottes wird in der kommenden Nacht zu einem nicht weit von hier gelegenen Berg kommen; wenn ich zu ihm, so wie ich es in der Erscheinung dieser Nacht gelernt habe, mit gläubigem Vertrauen hingehe, werde ich ohne Zweifel durch die Barmherzigkeit des Herrn ein neues Augenlicht erhalten. Wenn ich nämlich von dem Wasser, in dem der Streiter Christi seine Hände gewaschen hat, irgendwie meine Augen berühren kann und über mein Gesicht bringen kann, wird, so glaube ich, sofort meine Gesundheit zurückkehren. Also ließ sich das Mädchen, das vom Tag seiner Geburt an blind gewesen war, mit ihrem Vater zu dem Mann Gottes Judocus hinführen, und als sie von dem Wasser ihr Gesicht gewaschen hatte, wo eben dieser Priester des Herrn sich gewaschen hatte, spürte sie sofort, dass ihr vom Herrn auf Grund der Verdienste des heiligen Mannes ganz neue Sehkraft, wie sie es geglaubt hatte, geschenkt wurde.
Dort war nun ein Holzkreuz aufgestellt worden, nämlich zur Erinnerung an dieses Wunder, das Gott der Herr durch seinen Diener Judocus hat geschehen lassen wollen. Dieses Kreuz ist, an einen anderen Ort geschafft, bis heute erhalten, nämlich im Kloster des Heiligen selbst. Derselbe Ort jedoch, an dem es früher aufgestellt war, wird bis in die Gegenwart "Kreuz" genannt.
Als aber Haymo hörte, dass der Mann Gottes zurückgekehrt sei, freute er sich riesig und aufspringend eilte er ihm entgegen und empfing ihn ehrenvoll. Er hatte nämlich damals schon eine neue Kirche aus Felssteinen errichten lassen, die sogleich, nachdem der Diener Gottes, von Rom kommend, viele Patrocinien in diese hineingebracht hatte, zu Ehren des heiligen Martinus geweiht wurde. In eben diesem kleinen Kloster blieben sie damals drei Tage.
In der Folgezeit übertrug Haymo, weil er ein angesehener Mann war, zumal er auch über viele Besitzungen verfügte, diesen Ort mit seinen zugehörigen Besitzungen dem heiligen Judocus zur Nutzung. Als diese Dinge so entschieden waren, brach Haymo, ein Mann von scharfem Verstand, zusammen mit dem heiligen Diener Gottes Judocus auf und kam zu einem Gutshof aus seinem Besitz mit Namen Locum (=Loe). Auch diesen übertrug er sogleich mit allem, was dazugehörte, auf das Kloster des heiligen Judocus, indem er eine Schenkung machte. Nachdem also diese Übergabe durchgeführt war, hatte der zutiefst christliche Mann Jucdocus in diesem kleinen Kloster von da an bis zu seinem Tode viele Jahre gelebt.
Nachdem aber seine hochheilige Seele an den Iden des Dezember (=13. Dez.), ihre Fleischeshülle verlassend, zur ewigen Glückseligkeit des himmlischen Reiches gewandert war, hatten seine zwei Neffen, nämlich Vinnoch und Arnoch, die an seine Stelle traten, die Gewohnheit angenommen, den entseelten Körper des heiligen Mannes, der sehr lange unverwest blieb, häufig mit Wasser zu waschen und zu scheren.
Dies nahm nun ein Herzog, namens Deochtricus, Nachfolger Haymos, übel und, weil er dies dreist erforschen wollte, ließ er sich bis zu solchem Wahnwitz verleiten, dass er gegen den Willen Gottes und der Wächter dieses Ortes das Grab öffnen ließ, weil er wissen wollte, ob es wahr sei, dass der Körper des Heiligen bis dahin unversehrt überdauere. Während er dies fern jeglicher Ehrfurcht beobachtete. erschrak er plötzlich und sagte: O, heiliger Judocus. Und sogleich wurde er stumm und taub und blieb am ganzen Körper gelähmt bis zu seinem Lebensende. Als nun seine Frau von dieser Tat erfahren hatte, wurde sie sehr betrübt wegen einer so großen Ehrlosigkeit, mit der er das verehrungswürdige Grab des Gottesmannes zu verletzen gewagt hatte. Schließlich gab sie zur Verfügung an das heilige Grab des geweihten Mannes als Versöhnungsgeschenk einen Gutshof aus ihrem Besitz namens Crispiniacum, und sie übergab an anderen Orten jenseits des Flusses Quantia gleichfalls beträchtliche Ländereien mit dem Verlangen, wenn er schon des Gebrauchs seiner Glieder beraubt sei, dass wenigstens seine Seele verdiene von der Schuld an dieser Art Frevel befreit zu werden. Seither aber hat unser Herr und Erlöser Stummen die Sprache, Tauben das Gehör, Blinden das Sehen, Lahmen das Gehen, auch allen Gebrechlichen, die kamen, auf die Einwirkung der Verdienste des heiligen Judocus an seinem Grab gnädig die volle Gesundheit zurückgeschenkt, er, der lebt mit dem Vater in der Einheit des Heiligen Geistes, Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
Hier endet die Lebensbeschreibung des heiligen Priesters Judocus.