Gegen Mitte des 7. Jahrhunderts stirbt St. Jodok an einem 13. Dezember in einer kleinen Klostergemeinschaft in einem Ort namens Sidraga oder Schaderias, der in der Nähe der heutigen Quellen "Fontaine aux Chrétiens" (Brunnen für die Christen), "Fontaine aux Chiens" (Brunnen für die Hunde) und "Fontaine des Bretons" (Brunnen der Bretonen) im Wald von Saint-Josse-sur-Mer gelegen haben kann. Jodok wird in der Hauskapelle (Oratorium) seiner Einsiedelei begraben und sein Leichnam soll über 40 bis 60 Jahre lang vor der Verwesung bewahrt worden sein.
Zu Beginn des 8. Jahrhunderts will sich Drochtric, der Regent von Ponthieu, vergewissen, ob der Leichnam des Heiligen Jodok unversehrt geblieben ist. Er lässt sein Grab öffnen und stellt fest, dass dem so ist. Erst nach diesem Geschehnis widerfährt dem Leichnam das gewöhnliche Los alles Irdischen. Man legt das Skelett in eine mit Bleiblättchen bedeckte Holzkiste, die Asche füllt man in eine zweite Kiste. Die erste wird auf der rechten Seite des Altars der Hauskapelle begraben und die zweite eingemauert. "Der große Schrein mit seinen Reliquien in St. Josse-sur-Mer") Kam er nun nach England oder nicht? Unter der Herrschaft Karls d. Gr. gegen Ende des 8. Jahrhunderts wird, angesichts des Zustroms von Pilgern und wohl auch wegen der Passagiere aus dem nahen Hafens Quentovic, Alkuin betraut, eine angemessene Herberge, "La Cella Marina", zu errichten und zu verwalten.
Angesichts der normannischen Einfälle Ende des 9. Jahrhunderts und mit der Zerstörung ihres Klosters fliehen die Mönche. Englische liturgische Handschriften untermauern die Annahme, dass im Jahre 903 der Corpus des Heiligen Jodok in die Abtei Hyde in der Nähe von Winchester in England gebracht worden sei.
(Diese Annahme ist durchaus zu hinterfragen: Welche Mönche, die fliehen, weil sie um ihr Leben fürchten, graben noch eine Holzkiste mit Reliquien aus, um sie nach England zu retten. Da wirken andere Quellen realistischer, die davon berichten, dass die nach dem Tode Jodoks noch nachwachsenden Haar und Nägel geschnitten wurden. Solche Reliquien ließen sich auch auf der Flucht mitnehmen.
Das Entdecken dieser Holzkisten mit den Reliquien in St. Josse würde auch besser zu "Inventio" passen, von der im folgenden Absatz berichtet wird.)
Der Bau des Chors der Abteikirche ist so weit fortgeschritten, dass man den Corpus des Heiligen wieder aus England zurückholen (?) kann. Diese Zeremonie wird als "L'invention du corps de Saint Josse" (Auffindung des Corpus des Heiligen Jodok) bezeichnet und stellt die offizielle Anerkennung der Reliquien und einen Abschnitt der Wiedererbauung des Klosters dar. Der Corpus des Heiligen Jodok wird in ein Grab gelegt; es besteht aus einer Steinplatte, die von Säulen getragen wird.
Im Jahre 1134 ist die Abteikirche vollendet und es findet die Translatio des Corpus des Heiligen Jodok von seinem Grab in einen Reliquienschrein im Beisein von Garin (Guérih) Bischof von Amiens, von Robert Abt des Klosters, von Etienne de Blois Graf von Boulogne und von Guy Graf von Ponthieu statt. Eine Urkunde wird beigefügt, die bezeugt, dass sie die Reliquien erkannt haben.
Der Kreuzgang und die Gesamtheit der Klosteranlage sind fertiggestellt. Im Jahre 1195 findet die zweite Translatio der Reliquien in einen neuen Schrein statt, der mit Silberplättchen verziert und mit Edelsteinen in seinem Wert erhöht wird. Dies geschieht in Gegenwart von Thibaud (Théobald) Bischof von Amiens, von Hugues, dem ehrenwerten Abt des Kloster, von Renaud von Sonmartin Graf von Boulogne-sur-mer und von Guillaume Graf von Ponthieu. Die Reliquien sind in ein orientalisches Tuch eingehüllt, eine erneut auf Pergament abgefasste Urkunde, die ausführlich von der Tranlsatio berichtet und mit dem Sigel von Renau von Donmartin und dem der Abtei versehen ist, wird beigelegt.
Von 1587-1598 werden die Kirche und das Kloster von Spaniern verwüstet, der Silberschrein musste verschwinden. Er wird durch einen mit Renaissance-Schnitzereien verzierten Eichenschrein ersetzt, der im Jahre 1614 restauriert wurde. Er wird bemalt, vergoldet und mit einigen Silberplättchen verziert. Eine Platte existiert noch davon. Sie ist in einer Mauer der Kirche Airon Notre-Dame eingelassen.
Bei der Schließung der Abtei im Jahr 1772 wird der Schrein, der die Reliquien enthält, der Pfarrkirche zur Verwahrung übergeben. Er geht offensichtlich auf das Jahr 1730 zurück, ist aus mit Messing verkleidetem Holz gemacht und mit kleinen gegossenen Silbermedaillons verziert, die den Heilige Jodok darstellen. Im Jahre 1793 wird der Schrein zur Zeit der Verfolgungen versteckt und entgeht dadurch seiner Zerstörung.
Eine Überprüfung, dass es wirklich die Reliquien des Heiligen Jodok sind, wird vom Kardinal von La Tour d'Auvergne, Bischof von Arras, im Jahre 1843 vorgenommen. Bei diesem Anlass verteilt man die Reliquien auf drei Bündel: eine Kassette aus Eichenholz, die den Staub des Corpus enthält, der Schädel, der in ein Stück orientalischen Tuchs eingenäht ist, und die weiteren Gebeine, die in drei Tüchern eingewickelt sind: ein Leinentuch, ein Taft aus violetter Seide und ein Stück Stoff aus dem Orient. Man legt ebenso die Urkunde aus Pergament bei, die die Translatio von 1195 bestätigt zusammen mit den beiden Siegeln, von denen das eine von Renaud von Donmartin, das andere von der Abtei ist. Zudem kommt eine Urkunde hinzu, die der Kardinal erstellt hat und die davon berichtet, dass zum Zeitpunkt dieser Überprüfung ein zugeschnittenes und wieder zusammengefügtes Stück orientalischen Stoffes die einzige Umhüllung der Reliquien gewesen wäre.
Am 25. Juli 1920 findet die Verlegung eines Teils der Reliquien des Patrons in einen neuen Schrein statt in Gegenwart von Msgr. Julien, Bischof von Arras. Ein Arzt bescheinigte, dass die Gebeine ein fast vollständiges Skelett bilden. Bis einige Reliquien letzendlich in dem neuen Schrein ihren Platz haben würde, musste man, obgleich man auf den alten Schrein zurückkam, sich weiterer feiner Stoffe bedienen, um sie wieder zu bedecken. Die Augustinerinnen, Ordensschwestern des Hôtel-Dieu (Krankenhaus) in Montreuil, bekamen die Aufgabe übertragen, die Reste des Eremiten kostbar zu umhüllen. Hierbei waltete größte Diskretion. Was vom oben angesprochenen orientalische Stoff übrig geblieben ist, ist als kostbarer Stoff aus dem 10. Jh. im Louvre ausgestellt.
Während dieser letzten "Translatio" wurden weder die Urkunden noch die Siegel, die entfernt worden waren, noch der orientalische Stoff in keinen der Schreine zurückgelegt. Darüber hinaus kam der Pfarrer des Dorfes, l'Abbé Poirier, auf die unglückselige Idee, Stücke von diesem orientalischen Stoff abzuschneiden und an die Gläubigen der Pfarrei zu verteilen. Einige Stückchen werden sich sicher noch erhalten haben.
Die Reliquien bekommen ihren Wert erst durch den, dessen Leben sie vergegenwärtigen. Und davon erzählen seine
Lebensstationen.